Simon Ehammer absolvierte im vergangenen Jahr drei Zehnkämpfe – in jedem dieser drei Wettkämpfe verbesserte er den Schweizer Rekord. Im ersten Zehnkampf in Ratingen übertraf er den 34 Jahre alten Schweizer Rekord von Beat Gähwiler (8244 Punkte im Jahr 1988) um nicht weniger als 110 Punkte. Mit einem Sprung auf 8,30 Meter löste er nach 19 Jahren auch den Schweizer Rekord im Weitsprung von Julien Fivaz ab, der den alten Schweizer Rekord mit 8,27 hielt.
In Götzis und an der Europameisterschaft in München verbesserte er seine eigenen Schweizer Rekorde erneut, wobei ihm in Götzis mit 8,45 Meter auch ein neuer Schweizer Rekord im Weitsprung gelang. In diesem Jahr möchte er die Olympialimiten im Zehnkampf und im Weitsprung für Paris 2024 angreifen und setzt sich neue Ziele in den Wurfdisziplinen, an denen er und sein Trainerteam in den vergangenen Monaten intensiv gearbeitet haben.
Mit dem Sieg am Siebenkampf in Aubière und dem Schweizermeister-Titel im Weitsprung hast Du die Saison 2023 bereits wieder mit zwei Ausrufezeichen begonnen. Was hast Du nach Deinem letzten Meeting bei Weltklasse Zürich im September gemacht?
Nach dem Weltklasse-Meeting in Zürich anfangs September bin ich erst einmal für vierzehn Tage mit meiner Freundin in die Ferien gefahren. Da hatte ich auch das erste Mal Zeit, mit einer gewissen Distanz all die Eindrücke und Emotionen der vergangenen Saison zu verarbeiten. Danach haben wir dann bereits wieder mit dem Training begonnen. In den vergangenen Monaten haben wir sehr intensiv und hart gearbeitet. Wir konnten einen sauberen Aufbau ohne Verletzung oder Krankheit machen. Ich bin derzeit in einer sehr guten Verfassung.
Welche Momente sind Dir besonders in Erinnerung geblieben?
Eine schwierige Frage. Die vergangene Saison war so reich an Emotionen und Höhepunkten. Wenn ich etwas herausgreifen muss, dann einerseits sicherlich die kontinuierliche Steigerung in allen drei Zehnkämpfen, die ich im vergangenen Jahr absolviert habe. Dann mein Sprung auf 8.45 Meter in Götzis. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Meine WM-Medaille in Eugene im Weitsprung oder dann meine EM-Medaille im Zehnkampf in München sind weitere emotionale Höhepunkte. Jeder Erfolg hat seine eigene Geschichte.
Die vergangene Saison war ja nicht nur sportlich ein Erfolg, sondern Du standest auch medial im Scheinwerferlicht und hast zahlreiche Auszeichnungen erhalten wie Europas Leichtathlet der Monate Januar und Mai, Schweizer Leichtathlet des Jahres oder dann Rang zwei bei der Wahl zum Schweizer Sportler des Jahres. Wie gehst Du mit diesem zunehmenden medialen Interesse um?
In erster Linie freue ich mich, dass mein Sport und auch meine Person in der Öffentlichkeit eine solche Beachtung und Anerkennung finden und dass sich so viele Menschen für meine Leistungen interessieren. Die Auszeichnung bei den Sports Awards war sicherlich speziell. Man sitzt im Studio mit allen anderen Athletinnen und Athleten, die Grossartiges geleistet haben, und man weiss, man ist einer von ihnen. Dass ich dann bei der Wahl zum Schweizer Sportler des Jahres gleichzeitig noch so gut abgeschnitten habe, und so viele Menschen meiner Leistung diesen Stellenwert beigemessen haben, erfüllt mich mit Stolz und Freude. Ich bin dankbar, dass ich mit Michael, eine Person an meiner Seite habe, die so viel Erfahrung im medialen Bereich verfügt, alles optimal koordiniert und auch meist vor Ort ist, so dass ich mich als Sportler trotz des medialen Interesses geschützt und sicher fühle.
Als Aussenstehender hat man den Eindruck, dass Du Dich von dieser öffentlichen Erwartungshaltung aber nicht unter Druck setzen lässt, oder?
Nein, diese Aufmerksamkeit ist für mich positive Energie, kein Druck. Es ist schön, wenn die Menschen sich für meinen Sport und meine Leistungen interessieren. Dies ändert jedoch nichts an meinem Vorgehen oder meinem Verhalten. Ich bin mir bewusst, dass es in der Öffentlichkeit eine gewisse Erwartungshaltung gibt. Aber letztlich muss ich mich auf mich und meine Leistung fokussieren. Ich bin derjenige, der die Leistung erbringt und dies kann ich im Unterschied zur öffentlichen Erwartungshaltung auch unmittelbar selbst beeinflussen.
Welches Fazit hast Du und Dein Trainerteam aus der vergangenen Saison gezogen?
Wir haben Ende Saison noch einmal alles Revue passieren lassen. Letztlich haben wir sämtliche Ziele erreicht oder übertroffen. Die Leistung hat von A bis Z funktioniert. Darauf kann man nun aufbauen. Es gibt noch viel Verbesserungspotenzial, insbesondere im Wurfbereich. Im Speerwurf und im Diskus haben wir noch einmal einen Schritt nach vorne gemacht. Auch in den Laufbereich haben wir viel Zeit investiert, was sich in Aubière bereits ausgezahlt hat. Wir wissen nun, dass die Sprintdisziplinen und der Weitsprung funktionieren, da müssen wir nicht noch Extraeinheiten machen, sondern können gezielt an den Defizitdisziplinen arbeiten.
Du hast den Wettkampf in Aubière bereits angesprochen. Wie im Vorjahr hast Du diesen Siebenkampf in der Halle gewonnen. Wenn Du die beiden Wettkämpfe von 2022 und 2023 in Aubière vergleichst, was ist Dein Fazit?
In diesem Jahr habe ich einen sehr konstanten Mehrkampf gezeigt. Im Weitsprung war ich mit der Weite von 7,85 Meter nicht ganz zufrieden. Meine Erwartungen liegen da im 8 Meter Bereich. Objektiv gesehen, sind aber auch die 7,85 im Mehrkampf eine sehr gute Weite. Ansonsten waren alle Disziplinen auf hohem Niveau konstant, was mir viel Sicherheit für die Hallen-EM in Istanbul gibt. Ich denke, da kann ich noch 100 bis 200 Punkte mehr machen. Im vergangenen Jahr war mein Wettkampf in Aubière nicht so konstant, sondern grösseren Schwankungen in den einzelnen Disziplinen unterworfen, mit einem positiven Ausreisser im Weitsprung.
Du hast die Konstanz in den verschiedenen Disziplinen angesprochen. Liegt darin eine der grossen Herausforderungen im Mehrkampf?
Konstanz auf hohem Niveau im Mehrkampf zu erreichen, ist unglaublich viel Arbeit. Dass man stets alle sieben oder zehn Disziplinen auf höchstem Level abrufen kann, gibt einem sehr viel Sicherheit. Man weiss dann, auch wenn eine Disziplin nicht nach Wunsch läuft, dass man die Leistung in den anderen Disziplinen wie gewohnt abrufen kann. Diese Konstanz fehlte mir in der vergangenen Saison noch in den Wurfdisziplinen. Da habe ich im Diskus die Saison bei 39 Metern begonnen und bei 34 Metern beendet. Das muss noch besser werden. In den schnellkräftigen Disziplinen bewege ich mich konstant auf hohem Niveau.
Anfangs März steht die Hallen-EM in Istanbul auf dem Programm. Mit welchen Erwartungen reist Du an den Bosporus?
Ich freue mich sehr auf die EM. Ich war vor 11 Jahren zum letzten Jahr in der Türkei, in den Badeferien. In Istanbul war ich noch nie. Als derzeitiger European Leader muss das Ziel sein, Gold zu holen, insbesondere auch nach dem guten Start in Aubière. Kevin Mayer, der Weltrekord-Halter im Zehnkampf und EM-Rekordhalter im Siebenkampf, dürfte wohl ebenfalls am Wettkampf teilnehmen. Mein Ziel ist es, möglichst nah an den EM-Rekord von Kevin Mayer zu kommen. Dieser liegt mit 6479 Punkten 116 Punkte über meinem Schweizer Rekord von 6363. Grundsätzlich muss ich mich dafür im Vergleich zu Aubière in jeder Disziplin steigern. Es braucht dann noch 1–2 positive Ausreisser, die ich auch von mir selbst erwarte. Im Stabhochsprung liegt etwas drin. Die 1000 Meter muss ich eigentlich 3 bis 5 Sekunden schneller laufen können.
Was sind Deine Saisonziele?
Der Zehnkampf in Götzis bildet wie jedes Jahr ein erster Saisonhöhepunkt. Dieser Wettkampf hat für mich einen sehr hohen Stellenwert, entsprechend gut werde ich mich darauf vorbereiten. Mit einer guten Leistung kann ich da vielleicht bereits die Olympialimite angreifen. Diese liegt bei 8460 Punkten, sprich 8 Punkten unter meinem aktuellen Schweizer Rekord. Nachher folgt die WM in Budapest. Für die WM habe ich mich bereits im vergangenen Jahr qualifiziert. Je nachdem werde ich auch noch einen dritten Zehnkampf vor Götzis bestreiten. Dies hängt ein wenig vom Saisonverlauf ab. Ab Juli kann ich dann auch die Olympialimite im Weitsprung erfüllen. Diese liegt bei 8,27 Metern. Auch dies ist ein grosses Ziel. Ich werde in diesem Jahr auch wieder an den Diamond League-Meetings im Weitsprung teilnehmen. Lausanne und Zürich sind fix eingeplant. Eventuell werde ich auch in Paris und Oslo starten und hoffentlich dann auch im Finale der Diamond League, welches dieses Jahr nicht in Zürich, sondern in Eugene stattfindet.